10. Kapitel

Westliches Maryland 5. Januar

Hobart hatte allmählich das Gefühl, als sei er nur noch unterwegs. Er freute sich auf den Tag, wenn die Vorbereitungen endlich abgeschlossen sein würden.

Hinter ihm ging die Sonne auf, und obwohl sie noch tief am Himmel stand, setzte er seine Sonnenbrille auf. Er fuhr schon seit fast einer Stunde in Richtung Saint Louis, und sein Rücken machte sich langsam bemerkbar – wahrscheinlich infolge der Erwartung, die nächsten dreizehn Stunden in der gleichen Position verbringen zu müssen. Es half wenig, den Sitz etwas zu verstellen, denn dadurch verkrampften lediglich seine Arme. Ein ständiger Positionswechsel war vermutlich am besten.

Vor ihm lag jener Teil der Operation, der ihm ziemlich zu schaffen machte. In ganzseitigen Anzeigen zu verkünden, was das CDFS vorhatte, würde nur diejenigen retten, die besser tot wären, und außerdem dem FBI einen ersten Anhaltspunkt geben. Der Reverend hatte allerdings darauf bestanden, und er hatte ihm sein Wort gegeben.

Ursprünglich hatte er daran gedacht, einfach den entsprechenden Text mit dem nötigen Geld in drei Umschläge zu stecken und abzuschicken. Nachdem er sich erkundigt hatte, was die Anzeigen kosteten, hatte er es sich jedoch anders überlegt. Es wäre nicht besonders klug, mit einem anonymen Brief beinahe zweihunderttausend Dollar zu verschicken. Sonst würden am nächsten Tag vermutlich drei Angestellte aus der Anzeigenabteilung flotte Corvettes fahren.

Schließlich hatte er beschlossen, dass es das Beste wäre, den Anzeigen Barschecks beizufügen. Das Problem war, dass er sich diese Schecks ausstellen lassen musste und dass das FBI weniger als einen Tag brauchen würde, um die entsprechende Bankfiliale zu finden. Keine berauschende Aussicht, aber es schien keine Alternative zu geben.

Es war fast vier Uhr, als der Gateway Arch aus dem Dunst auftauchte. Zehn Minuten später verließ Hobart die Autobahn und fuhr weiter, bis er zu seiner Rechten eine Bank erblickte. Nach weiteren fünfzehn Minuten bog er schließlich auf den fast leeren Parkplatz eines Supermarkts ein.

Kritisch musterte er im Rückspiegel sein Äußeres. Er trug eine graue Perücke mit etwas längerem, aber sehr gepflegtem Haar, und einen kurz gestutzten grauen Bart. Seine Augen waren durch Kontaktlinsen blau gefärbt und teilweise hinter einer Brille verborgen.

Mit einer Grundierung hatte er seine Haut ein wenig abgedunkelt und die Falten um Mund und Augen betont, wodurch er wesentlich älter wirkte, als er tatsächlich war, besonders mit der leicht vornübergebeugten Haltung, die er in Warschau perfektioniert hatte. Wahrscheinlich würde ihn jeder auf Mitte fünfzig schätzen.

Nachdem er blaue Lederhandschuhe übergestreift hatte und einen passenden Mantel, nahm er die schwarze Mappe, die neben ihm auf dem Beifahrersitz lag, und ging rasch zurück zur Hauptstraße. Es dauerte weitere fünfzehn Minuten, ein Taxi anzuhalten, aber wenigstens stoppte eins, als es gerade zu regnen begann. »Wohin?«

»First Missouri. Die an der Ecke der Pine Street.« Der Taxifahrer nickte und bog wieder in den Verkehr ein.

»Was kann ich für Sie tun, Sir?«

Der schlanke junge Mann hinter dem Kassenschalter sah nicht gerade aus wie ein Bankangestellter. Sein blondes Haar war zu einem ziemlich langen Pferdeschwanz zurückgebunden, und seine Haut hatte eine rötliche Farbe, was darauf hindeutete, dass er den Großteil seiner Freizeit an der frischen Luft verbrachte. Das Namensschild neben ihm verriet, dass er Lance hieß.

»Hallo, Lance«, grüßte Hobart und stellte seine Mappe auf die Schaltertheke. »Ich hätte gern ein paar Bankschecks.«

»Oh, das tut mir Leid, Sir, dafür ist meine Kollegin zuständig – die Dame dort drüben.« Er deutete auf eine grauhaarige Frau an einem ordentlichen Schreibtisch am Fenster.

»Danke.« Hobart nahm seine Mappe und ging an den Kunden vorbei, die hinter ihm warteten.

»Hallo, kann ich Ihnen helfen?«

»Das hoffe ich doch. Lance hat mir gesagt, dass ich mir bei Ihnen Bankschecks ausstellen lassen kann.«

»So ist es. Mein Name ist Jennifer. Setzen Sie sich doch.«

»Wissen Sie, ich habe eine Menge Bargeld in dieser Tasche. Könnten wir vielleicht in ein Büro gehen?«

Jennifer überlegte einen Moment. »Ich glaube, mein Chef ist schon zu Tisch. Wenn Sie kurz warten würden, schaue ich mal rasch nach.« Sie stand auf und verschwand um die Ecke. Nach weniger als einer Minute kehrte sie zurück.

»Alles klar. Kommen Sie bitte mit?« Hobart folgte ihr um die Ecke in ein kleines Büro hinter den Kassenschaltern. Jennifer setzte sich an den Schreibtisch und deutete auf einen der beiden Stühle davor.

»Wie viele Schecks hätten Sie denn gern, und auf wen sollen sie ausgestellt werden? Sie wollen in bar zahlen, wenn ich richtig verstanden habe?«

»Ja, falls das kein Problem ist.«

»Nein, überhaupt nicht.«

»Gut. Also … ich bräuchte einen, der auf USA Today ausgestellt ist.« Jennifer kritzelte auf einen Block. »Und zwar über die Summe von 57 500 Dollar.«

Sie schaute auf. »Sie haben gesagt, Sie wollen bar bezahlen?«

»Wenn das kein Problem ist«, wiederholte Hobart.

Sie zuckte die Schultern. »Nein, ich denke nicht.«

»Der zweite ist für die Washington Post; die Summe beträgt 53 565 Dollar. Und der letzte ist für die LA Times über 72 000 Dollar.«

Sie tippte die Zahlen in einen Rechner auf dem Schreibtisch und riss das Papier ab. »Einschließlich Gebühren wären das 183 072,50 Dollar.«

Hobart öffnete seine Mappe und legte nach und nach ordentlich gebündelte Hundertdollarscheine auf den Tisch. Jennifer schaute ihm verblüfft zu.

»Bitte sehr. Ich glaube, es stimmt.«

Jennifer fand eine leere Leinentasche mit dem Logo der Bank, in der sie das Geld verstaute, und ging zur Tür.

»Möchten Sie gern eine Tasse Kaffe? Es dauert vielleicht ein paar Minuten.«

»Nein, danke. Ich warte einfach.«

»Könnten Sie in der Zwischenzeit Ihren Führerschein und die Sozialversicherungskarte heraussuchen? Die Bank ist gesetzlich verpflichtet, bei großen Bartransaktionen die Personalien zu notieren.«

»Sicher, das mache ich gern.«

Als sie zurückkehrte, hatte sie drei Schecks dabei und reichte sie Hobart zur Prüfung, während sie die Daten von seinem gefälschten Führerschein abschrieb.

»Alles in Ordnung?«

»Bestens. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

Sie schob ihm den Führerschein zu. »So, Mr. Harrison, wenn Sie nun noch dieses Formular durchlesen und unterschreiben würden, falls alles korrekt ist.«

Er warf einen kurzen Blick auf das Blatt und unterzeichnete mit links, dass der Schriftzug vollkommen unleserlich war.

Jennifer stand auf und reichte ihm die Hand. »Es war nett, Sie kennen zu lernen, Mr. Harrison. Lassen Sie uns wissen, wenn wir Ihnen wieder einmal behilflich sein können.«

»Danke, das mache ich.«

Der Regen war mittlerweile in ein leichtes Nieseln übergegangen. Hobart hängte sich seine leere Mappe über die Schulter und eilte in die entgegengesetzte Richtung des Parkplatzes, wo er seinen Wagen abgestellt hatte. Als er weit genug von der Bank entfernt war, hielt er nach einem Taxi Ausschau. Es dauerte diesmal nur ungefähr fünf Minuten, bis eins hielt.

Der Fahrer beobachtete im Rückspiegel, wie Hobart einstieg.

»Ich möchte zum Safeway-Supermarkt, ein paar Meilen weiter auf der rechten Seite, aber erst würde ich mir gern den Gateway Arch ansehen.« Der Fahrer schaltete schweigend das Taxameter ein, wendete mitten auf der Straße und fuhr los. Hobart entspannte sich und ging im Geist eine Checkliste durch, wobei ihn nur die Countrymusik aus dem Radio und der penetrante Geruch eines Auto-Lufterfrischers ablenkte.

Seine Besichtigungstour rund um den berühmten Gateway Arch dauerte ungefähr fünfundvierzig Minuten, und es war fast halb sechs, als der Taxifahrer ihn am Supermarkt absetzte, wo er geparkt hatte. Er ging in den Laden und kaufte Eis, Pepsi und einige Sandwiches, was insgesamt fünfzehn Minuten dauerte – lange genug, dass der Taxifahrer inzwischen weitergefahren sein durfte.

Hobart hievte die Kühltasche auf den Rücksitz seines Wagens und stellte sie so, dass er unterwegs gut herankommen konnte. Auf dem Rückweg zur Autobahn schaute er auf die Uhr. Er wollte heute Nacht wenigstens noch fünf Stunden Fahrt hinter sich bringen.

»Wie lief s bei der Bank, John?« Es war acht Uhr, und Robert Swenson saß bereits an seinem Computer.

Hobart warf die drei Schecks auf den Schreibtisch. »Alles okay. Verstau die mal, ja?«

Swenson ging zum Aktenschrank in der Ecke des Büros.

»Du hast an der Anzeige gearbeitet?« Hobart deutete auf den Bildschirm, obwohl der Kopf seines Partners noch im Schrank steckte.

»Nee, hab Solitaire gespielt. Die Anzeige hab ich gestern fertig gemacht. Sekunde, ich druck sie gleich aus.« Er schlug die Schranktür zu und setzte sich wieder an den Computer. Als der Drucker verstummte, zog er ein einzelnes Blatt Papier heraus und reichte es ihm.

* * * ACHTUNG DROGENKONSUMENTEN * * * Angesichts des gravierenden Drogenproblems in Amerika und der Unfähigkeit der Regierung, die Flut an Rauschgiften einzudämmen, hat das COMMITTEE FOR A DRUG-FREE SOCIETY beschlossen, selbst etwas dagegen zu unternehmen.

Hiermit geben wir bekannt, dass das CDFS am (Datum) mit der SYSTEMATISCHEN VERGIFTUNG VON DROGEN IN DEN USA beginnen wird.

Dazu gehören alle Rauschmittel, die aus illegalem Anbau oder illegaler Produktion stammen.

Jeder, der nach diesem Datum noch Drogen nimmt, RISKIERT SEIN LEBEN oder kann bleibende Schäden davontragen.

Wir vom CDFS bedauern, dass solch drastische Maßnahmen notwendig sind, und ebenso bedauern wir alle Opfer, die es möglicherweise geben wird. Dennoch sind wir überzeugt, dass wir durch unseren Entschluss zahllose Menschen retten, die sonst durch Drogen ihre Gesundheit ruinieren oder infolge drogenbedingter Gewalttaten ihr Leben verlieren würden. * * * ACHTUNG DROGENKONSUMENTEN * * *

»Ich hatte mir extra eine besondere Software gekauft, um es möglichst professionell zu machen. Aber ich hatte nicht die Zeit, mich damit zu beschäftigen. Deshalb habe ich es mit Word geschrieben.«

»Sieht doch ganz okay aus. Es steht alles drin, was nötig ist. Gefällt mir, dass du es so formuliert hast, als täte es uns Leid. Macht sich gut.«

»John, wenn ich nicht glauben würde, dass unsere Aktion letzten Endes Leben retten würde, wäre ich nicht mit dabei.«

Hobart machte eilig einen Rückzieher. »Aber sicher, Bob. Ich auch nicht. Übrigens, ich habe mit meinem Freund in Mexiko gesprochen. Du bist für nächste Woche angemeldet. Er hat angeboten, dass du bei ihm wohnen kannst – aber ich habe gesagt, du hättest schon ein Zimmer im Hotel.«

»Du hast mir noch gar nichts über diesen Kerl erzählt, John. Dabei riskiere ich meinen Arsch, wenn seine Informationen nicht zuverlässig sind.«

»Sein Name ist Richard Penna – du kannst ihn ruhig Rick nennen. Wir haben uns damals kennen gelernt, als wir beide bei der DEA waren. Ich habe ihn seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen, aber ich bekomme immer noch jeden Dezember eine Weihnachtskarte von ihm. Ich wette, jetzt liegt auch wieder eine bei mir zu Hause.«

Hobart setzte sich in einen Sessel und legte die Füße auf den Tisch. »Gibst du mir eine Pepsi, Bob?«

Swenson kramte in dem kleinen Kühlschrank neben dem Schreibtisch.

»Rick und ich waren 1983 mit zwei anderen Kollegen bei einem Sondereinsatz, um irgendwelche Dealer in Washington festzunehmen. Aber irgendwie hatten sie einen Tipp gekriegt und erwarteten uns bereits. Es wurde ziemlich schnell brenzlig, und Rick bekam im Hof eine Kugel ins Bein. Er schaffte es, hinter einen Baum zu kriechen und die Blutung zu stoppen, aber er saß ganz schön in der Klemme. Ich bin zu ihm gerannt und hab ihn rausgezogen.«

Hobart nahm die Dose Pepsi, die Swenson ihm reichte, und fuhr fort. »Die ganze Sache hat ihn so fertig gemacht, dass er schließlich vorzeitig in den Ruhestand gegangen ist – wenn ich mich recht erinnere, hat er sogar eine ganz anständige Erwerbsunfähigkeitsentschädigung gekriegt. Aber er ist mir heute noch dankbar, dass ich ihm das Leben gerettet habe.«

»Hast du ja schließlich auch.«

Hobart grinste. »Nicht wirklich. Wie ich schon sagte, er kauerte hinter einem Baum und hatte die Blutung gestillt. Unsere beiden Kollegen hatten die Kerle ungefähr zehn Minuten später überwältigt. Um die Wahrheit zu sagen, er wäre besser bis zum Abschluss der Operation hinter diesem Baum geblieben, statt von mir über einen offenen Hof gezogen zu werden. Dumme Idee von mir, aber wir machen schließlich alle mal dumme Sachen, wenn wir jung sind.«

Swenson nickte.

»Nachdem er im Ruhestand war, hat Rick sich mit irgendwelchen Investoren in einem aufstrebenden Ferienort in Mexiko zusammengetan. Dass er so frühzeitig bei diesem Projekt eingestiegen ist, hat sich ordentlich für ihn ausgezahlt. Es heißt allerdings, dass er sozusagen als Hobby immer noch gewisse Verbindungen unterhält und bestens in der Drogenszene Bescheid weiß. Wahrscheinlich ist es ganz hilfreich, dass er seinen Gästen das eine oder andere besorgen kann, wenn sie spezielle Wünsche haben.«

»Und du glaubst, er erzählt mir so einfach, was dort unten im Heroingeschäft so läuft?«, fragte Swenson skeptisch. »Mann, ich kenne ihn doch gar nicht, und du hast ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.«

»Rick ist ein Kerl, der gern viel trinkt und viel redet. Und er vertraut mir. Du wirst es nicht schwer haben, aus ihm alles rauszukriegen, was du wissen willst. Wahrscheinlich brauchst du einfach nur dazusitzen und dir Notizen zu machen.«

Mark Beamon 01 - Der Auftrag
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